Sehr geehrte Herr Müller,
dieses offene Schreiben erhalten
Sie im Namen vieler Flüchtlingsinitiativen in Charlottenburg-Wilmersdorf. Gemeinsam sind wir mit vielen hundert Helfern im Rathaus Wilmersdorf, der
Messehalle, dem Olympiapark, der Eschenallee, Kaiserdamm, Soorstrasse,
Rognitzstrasse, der Brandenburgischen Strasse aber auch vor dem LaGeSo
aktiv.
Entsetzt haben wir aus der Presse
erfahren, dass die Eröffnung der neuen Dependance des LaGeSo in der Bundesallee
diese Woche die Anzahl der Menschen nicht steigern wird, die pro Tag in Berlin
als Asylsuchende registriert werden. Nach den veröffentlichten Zahlen werden pro
Arbeitstag in Berlin 100 Menschen in der Turmstrasse (demnächst Bundesallee) und
100 Menschen in der Kruppstrasse als Asylsuchende registriert. Allein im Monat
September sind über 16.000 geflüchtete Menschen in Berlin neu angekommen von
denen danach vermutlich 12.000 nicht als Asylbewerber registriert wurden. Sie
haben kein Geld, keinen Krankenschein, keinen Berlinpass um mobil zu sein und
viele noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Die Zugangszahlen werden auch im
Oktober auf einem ähnlich hohen Niveau bleiben, damit verlängert sich die
Schlange unregistrierter Asylbewerber pro Tag um mindestens 400 Menschen. Selbst
wenn wie versprochen, die Zahl der bearbeiteten Fälle bis Ende Oktober auf 450
gesteigert werden soll, reichen diese Kapazitäten nicht aus, die Neuzugänge zu
bearbeiten, von einer Abarbeitung des Rückstaus kann gar keine Rede sein.
Dieses "Berliner Modell" der
menschenrechtswidrigen Behandlung geflüchteter Menschen ist in Deutschland
einzigartig, nur hier ist die Verwaltung auch nach Monaten nicht in der Lage,
Kapazitäten aufzubauen, um die Menschen zu registrieren und ihnen damit Zugang
zu einer elementaren Grundversorgung zu ermöglichen.
Bitte stoppen Sie sofort die
Umzugspläne in die Bundesallee und gestalten Sie sie neu nach den tatsächlichen
Notwendigkeiten. Es ist zynisch, die Bundesallee zu einem Prestigeobjekt
auszubauen, in dem 100 Asylbewerber an einem Tag das komplette Paket inkl.
Asylantrag und evtl. Entscheidung erhalten, während draussen täglich hunderte
Menschen mehr unterhalb des Existenzminimums warten müssen. Die nach aussen
deutlich sichtbare Verbesserung der Arbeit der BUL seit Einrichtung der Task
Force Unterbringung zeigt, dass Verhältnisse auch innerhalb von Verwaltungen
sich kurzfristig verändern lassen, bitte tun Sie dies jetzt auch bei der
Registrierung neu ankommender Menschen!
Es muss jetzt darum gehen, dass
mit dem Umzug in die Bundesallee folgende Mindestbedingungen erfüllt
werden:
1. Die Kapazitäten neu ankommende
Menschen als Asylbewerber zu registrieren, ihnen Taschengeld, Krankenscheine,
Berlinpässe und Kostenübernahmen für Unterkünfte auszuhändigen müssen dem
tatsächlichen Bedarf entsprechen - in der Bundesallee und in der Kruppstrasse
entstehen Kapazitäten 800-1000 Menschen pro Tag neu zu registrieren.
2. Jeder neu nach Berlin kommende
Mensch erhält am Tag der Ankunft ein Dach über dem Kopf - unabhängig von der
Frage, ob er registriert wurde oder nicht. Zu diesem Zweck entsteht eine rund um
die Uhr und auch am Wochenende besetzte Anlaufstelle, von der aus die Menschen
in NUK verteilt werden.
3. In dieser Anlaufstelle werden
auch Härtefälle identifiziert, die mit Vorrang zu bearbeiten sind.
4. Medizinische Notfälle haben am
gleichen Tag noch Zugang zu adäquater medizin. Versorgung in Krankenhäusern und
anderen Einrichtungen der Regelversorgung - an der ZAA ist lediglich ein
Sanitätszimmer mit Rettungssanitätern notwendig.
5. Jeder neu nach Berlin kommende
Mensch erhält in der Bundesallee noch am gleichen Tag eine Wartenummer mit der
Aussage darüber, an welchem Tag und um welche Uhrzeit ca. mit dem Aufruf der
Nummer zu rechnen ist. Das versetzt die Menschen in die Lage in ihren
Unterkünften und nicht vor dem LaGeSo auf ihren Termin zu warten.
6. Es gibt ein geregeltes und
zeitlich absehbares System der Abarbeitung des Rückstaus an nicht registrierten
Menschen. Die Menschen, die bereits jetzt in NUK untergebracht sind, werden von
dort mit Bussen zu zuvor festgelegten Terminen zur Registrierung gebracht, die
Registrierung erfolgt dort mit Wartezeiten von max. 4 Stunden.
7. Kein Mensch verbringt länger
als eine Woche in Berlin ohne als Asylsuchender registriert zu sein.
Wir als Ehrenamtliche in
Charlottenburg-Wilmersdorf sehen sehr gut, vor welche Herausforderungen die
Ankunft so vieler Menschen das Land Berlin und insbesondere das LaGeSo stellt.
Wir sind als Freiwillige sehr gerne bereit, unseren Teil dazu beizutragen, dass
die oben beschriebene Struktur verwirklicht werden kann. Wir sind bereit mit
ehrenamtlichen Sprachmittlern Formulare schon einmal vorauszufüllen, um die
eigentliche Registrierung zu beschleunigen, wir sind bereit uns schulen und als
Freiwillige verpflichten zu lassen bei der eigentlichen Registrierung zu helfen.
Wr sind bereit zu helfen die Anlaufstelle für Neuankömmlinge rund um die Uhr und
auch am Wochenende mit Hauptamtlichen gemeinsam zu besetzen, wir informieren in
den NUKs die Menschen darüber, wie das Registrierungsverfahren läuft, wir
investieren viele hundert Stunden pro Tag, um zu helfen die Menschen in den NUKs
aufzunehmen und zu versorgen.
Wir sind bereit dem Land Berlin
zu helfen seine Verpflichtungen gegenüber schutzsuchenden Menschen
nachzukommen.
Aber wir sind nicht bereit
- sinnlos tage- und wochenlang
wartende Menschen mit Essen zu versorgen
- Schlafsäcke und Regenplanen an
Menschen zu verteilen, die Nachts in der Turmstrasse oder am Bundesplatz
campieren
- gestrandete Menschen jeden
Abend neu über die Stadt in Privatquartiere zu verteilen
- freiwillige Ärztinnen und Ärzte für eine Barfussmedizin, nahezu wie im Dschungel, einzusetzen, in einer Stadt, die mit
Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen hervorragend versorgt ist
- Tausende € an Spendengeldern
einzuwerben für Dinge, auf die die Menschen einen gesetzlichen Anspruch
haben
- die existenzielle Not der
Menschen zu ertragen und zu lindern, die durch falsche Organisationsstrukturen
entsteht.
Wir helfen gerne, wenn unsere
Arbeit dazu dient, Schutz suchende Menschen menschenwürdig zu behandeln und ihre
Lage nachhaltig zu verbessern - deshalb helfen wir auch gerne, wenn es um die
strukturelle Verbesserung der Arbeit des LaGeSo geht. Wir sind aber nicht bereit,
wie Don Quichote, gegen die nicht enden wollenden existenziellen Folgen und die
eigene Verzweiflung anzukämpfen, die durch das Versagen der
Organisationsstrukturen des Landes entstehen, wenn nicht klar ist, dass
überhaupt die Absicht besteht, diese Strukturen kurzfristig deutlich zu
verbessern.
Mit freundlichen Grüßen
stellvertretend für die
Initiativen Willkommen im Westend, Willkommen in Wilmersdorf, Charlottenburg
hilft, Initiative Klausener Platz
Amei v. Hülsen-Poensgen
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